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Mancher Rolli hat ein Rad ab…
(Aber wen juckt's - doch nicht etwa die Kostenträger?)
Persönlich 'gefärbter Nachschlag' zum MTD-Special 'Aktiv-Rollstühle' in Heft 6/99

Es war einmal ein Auto-Rennfahrer, der hatte ein Rad ab. Pech gehabt! Sein Kollege hatte eine Schraube locker. Gerade noch Glück gehabt. Ich war zwar auch Autofahrer, wenngleich nicht Rennfahrer, und bei mir war nur der Bremskolben an einem Hinterrad korrodiert und damit out-of-order, so daß ich nach einem gekonnten Überschlag zwar auf allen vier Rädern landete, aber eben nicht so viel. Glück hatte, wie die eingangs erwähnten Profis.

Seitdem bin ich ein für alle Mal gerädert, genauer gesagt querschnittgelähmter Rollstuhlfahrer mit dem Gütesiegel C6, C7 inkomplett. In den vergangenen 14 Jahren hatte ich daher genug Gelegenheit, die Vorteile des Muskelantriebs mit denen eines Zerknalltreiblings zu vergleichen, egal ob Otto oder Diesel. Das fängt schon mit der Bedienungsanleitung an. Falls man sich für ein inländisches PKW-Fabrikat entschieden hat, ist alles einigermaßen verständlich formuliert. Bei EG-Fabrikaten geht es zwar oft genug nahe an die Schmerzgrenze, aber bei vorsichtiger Rückübersetzung in die Sprache unserer Nachbarn kann man zumindest erahnen, was gemeint sein könnte.

Aber selbst unter Zuhilfenahme von Eßstäbchen und Akupunkturnadeln ist die tiefe asiatische Weisheit oft genug nicht zu erahnen, die auf dem naheliegenden Umweg über eine "Kultursprache " wie das US-Amerikanische zu uns gelangt. Etwa: "Tsienen sie daß Nippuch durch daß Lashing."

Aber ich komme vom Thema ab. Angenommen, Sie haben den verordneten Rolli in der vorgegebenen Abmessung und in der gewünschten Farbe erhalten, und das Schicksal hat Sie sogar auserkoren, eine einigermaßen verständliche Gebrauchsanleitung zu erhalten, dann kann die Vorstellung ja beginnen.

Früher oder später dürften die Vorderräder Ihres Rollstuhls abgenutzt und lidschäftig sein. Kein Problem: Ihr Sanitätshaus wird die Räder austauschen und Ihrem Kostenträger eine detaillierte Rechnung stellen, wie ja auch angemessen.

Aber wollen wir jetzt eine Wette eingehen? Weder das Fabrikat noch die unverwechselbare und nachprüfbare Modellnummer der Räder wird in der Rechnung auftauchen. Nein, vielmehr wird es da heißen: "Vorderräder, 7" Vollgummi, ausgetauscht und justiert" - zuzüglich einer Latte von Nebenkosten, die den reinen Materialwert in aller Regel weit übersteigt.

Wenn danach alles wieder paletti ist, könnte man getrost zur Tagesordnung übergehen, denn kein Sanitätshaus kann von Kulanz leben, erst recht, wenn bei der Erstversorgung irgendein Billigheimer zum Zuge kommt, der sich geschickt vor Reparaturen drückt, zumal, wenn der Kunde in Bayerisch Sibirien oder auf der Hallig Salzworm haust (das ist die gerechte Kehrseite der hirnrissigen Fallpauschalen).

Ähnlich erging es auch mir. Die ausgetauschten Räder schienen zwar auf Anhieb o.k., aber schon nach wenigen Metern Fahrt zeigte sich, welcher Schrott dem Behinderten bzw. seinem Kostenträger oft aufs Auge gedrückt wird. Zugegeben, mein Lebendgewicht von etwa dritthalbe Zentnern ist nicht gerade wenig, aber von der Sumo-Klasse bin ich zum Glück noch weit entfernt.

Bei der sofortigen Reklamation ereignete sich das Wunder der Zungen in umgekehrter Form: Kein Mitarbeiter meines Sanitätshauses verstand plötzlich noch Deutsch. Alles was ich in etwa heraushörte war "Nörgler", "des hammer noch nie gehört", bis hin zu "Besserwisser" und "Querulant".

Das Faß war schon früher übergelaufen, doch jetzt reichte es mir. Ich schickte je eines der von mir beanstandeten Räder und einige weitere in anderen Sanitätshäusern zugekaufte an das Institut für Fördertechnik an der TU Hannover, wo sich Professor Dr. Manfred Hager sofort für das Thema interessierte und die Räder auf seinem Prüfstand untersuchte. Das Ergebnis war so niederschmetternd, wie ich es erwartet hatte: Einige der Räder wurden mit maximal 35 kg Tragfähigkeit bewertet, wobei der Rollwiderstand bereits gut 30 Prozent über dem Durchschnittswert lag.

Fazit: Schrott! Der von mir sofort eingeschaltete Medizinische Dienst in Essen und der IKK-Bundesverband reagierten typischerweise wachsweich bzw. überhaupt nicht auf meine nachprüfbaren Erfahrungen. Dabei wäre Abhilfe denkbar einfach, indem folgender Passus als Voraussetzung für die Erteilung der HMV-Zulassung in Kraft gesetzt würde:

Alle sicherheitsrelevanten Bauteile von Hilfsmitteln müssen mit eindeutiger Herstellerangabe und einer Typenbezeichnung versehen sein. Ferner ist die Maximalbelastung anzugeben und klar zu kennzeichnen, wenn ein Bauteil nicht uneingeschränkt benutzt werden darf z.B. nicht 100% rostfreie Lager oder Achsen im Naßbereich. Ferner sind Fertigungs-Charge und Herstellungsdatum anzubringen, letzteres ggfs. verschlüsselt.

Mit dieser Vorschrift wären die schwarzen Schafe kurzfristig vom Markt und Garantieansprüche bzw. Schadensersatzforderungen erheblich leichter durchzusetzen. Letztendlich wäre damit den Behinderten geholfen und die Kostenträger würden viel Geld sparen.

Kurt R. B. Wanke