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Altersgerechtes Wohnen

Ein Gutes hat die Einführung der Pflegeversicherung auf alle Fälle: Die Diskussion um das Wohnen im Alter und die Sicherstellung der erforderlichen Hilfe, sei es durch Angehörige, ambulante Soziale Dienste oder durch die Inanspruchnahme eines Wohn- oder Altersheimes versachlicht sich und wird erstmals ohne Tabus geführt.

Dabei werden nicht nur festgefahrene Vorurteile gegen bestimmte Lösungen überwunden, sondern die Kostenfrage tritt zwangsläufig in den Brennpunkt. Leider kostet heute eine ganz „normaler“ Platz im Altenheim selbst außerhalb der Ballungsräume im Schnitt mindestens DM 3000,– und ein geförderter Pflegeplatz ist selbst für wohlhabende Senioren bzw. deren Angehörige kaum noch zu bezahlen.

Die Kostenentwicklung der Heimunterbringung hat inzwischen eine Eigendynamik entwickelt, die kaum noch jemand in den Griff bekommen kann. Die logische Folge ist, daß der Eintritt in ein Alten- oder Pflegeheim eher die Ausnahme sein wird und erst dann erfolgt, wenn es gar nicht mehr anders geht.

Heißt das nun, daß die alten Menschen künftig mit ihren Problemen alleingelassen werden? Keineswegs! Nur wird man neue Betreuungsformen entwickeln bzw. weiterentwickeln müssen, die die Restfähigkeiten der Senioren voll mit einbeziehen und wieder stärker als bisher die nachbarschaftliche und vor allem die innerfamiliäre Mithilfe in Anspruch nehmen. Der Eintritt in ein Heim bedeutet bisher in aller Regel eine teilweise bis totale Entmündigung und Freistellung von eigenen Pflichten. Man wäscht sich nicht mehr, sondern man wird gewaschen. Man zieht sich nicht mehr selbständig an, sondern man wartet auf die Schwester. Man ißt nicht mehr selbst, sondern wird gefüttert. Man macht sich nicht mehr das Bett, sondern überläßt das dem Stockwerksdienst. Diese Verallgemeinerung gilt zwar nicht überall, aber die Tendenz stimmt sicherlich.

Die „Verunselbständigung“ ist ein sich selbst verstärkender Teufelskreis, der am Ende zu totaler Unwilligkeit bzw. Unfähigkeit führt. Werden aber alle Handgriffe und Verrichtungen rund um die Uhr dem Personal zugeschoben, so bedingt das einen kaum finanzierbaren Personalbedarf. Welche Alternativen gibt es aber?

Vorrang haben sollte das Bemühen, das Lebensumfeld und den Lebensrhythmus der Senioren so lange wie möglich und selbst unter Hinnahme von Kompromissen beizubehalten. Der Verbleib in den eigenen vier Wänden ist nicht nur von eminenter Wichtigkeit für das psychische Wohlergehen, sondern fördert in der Regel auch die Bereitschaft und Fähigkeit zur Selbsthilfe. Wenn das Staubsaugen vielleicht auch nicht mehr mit der früher gewohnten Gründlichkeit erfolgt, die selbst gespülten Gläser vielleicht nicht mehr ganz so schlierenfrei sind wie in der Fernsehwerbung, was solls?

Das hei8t beileibe nicht, daß man eine schleichende Verwahrlosung hinnehmen sollte, aber die Kirche sollte doch im Dorf bleiben. Und es muß ein Guter Geist tätig werden, der bei Bedarf eingreift, Nachlässigkeit aufzeigt und Verunreinigungen ggfs. selbst beseitigt oder beseitigen läßt. Das sollte idealerweise ein Familienangehöriger sein, oder aber eine Fachkraft eines ambulanten Dienstes. Deren Tätigkeit richtet sich ganz individuell nach den jeweiligen Erfordernissen, die durch das momentane Befinden beeinflußt, von Tag zu Tag unterschiedlich sein können.

Die Gesamtkosten dieser Vorstufe einer weitergehenden Pflege setzen sich zusammen aus:

  1. den allgemeinen Lebenshaltungskosten des Betroffenen, die je nach gewohnten Ansprüchen stark variieren können, die aber auch bei einer Heimunterbringung noch zu Buche schlagen können, z.B. durch besondere Ansprüche an Kleidung, Friseurleistungen, Spirituosen etc.
  2. den Kosten für die Wohnung einschließlich der Betriebskosten, und
  3. den Kosten für die ambulante Pflege und die Inanspruchnahme weitergehender Hilfe durch Dritte.

In aller Regel liegt die Summe dieser Leistungen deutlich niedriger als die Kosten für einen üblichen Platz in einem Altenheim. Wenn das bestritten wird, so in erster Linie von Vertretern andersgerichteter Interessen. Auch das Argument, nur ein frühzeitiger Übertritt in ein Heim garantiere die völlige Eingewöhnung, greift nicht mehr. Eher fühlen sich Senioren abgeschoben und entwurzelt, denen der Übertritt in ein Heim mit allerlei Argumenten versüßt wird, denn das gewohnte soziale Umfeld geht zwangsläufig verloren.

Die Richtigkeit dieser Argumente wird heute kaum noch angezweifelt, und doch sind die Heime noch voll belegt. Warum? Oft dürfte es die Gedankenlosigkeit sein, denn noch vor einem Jahrzehnt dachte man anders, und glaubte mit der Schaffung von modernen Altersheimen ein lästiges Problem elegant vom Tisch wischen zu können. Heute, wo die finanzielle Kehrseite dieses Konzepts auf den Geldbeutel drückt, und die Nachteile für das seelische Befinden der Abgeschobenen nicht mehr wegzudiskutieren sind, sucht man nach besseren Alternativen, und die gibt es durchaus.

Grundgedanke sollte sein, daß man alte Bäume möglichst nicht verpflanzen sollte. Das heißt natürlich nicht, daß eine alleinstehende Person mit 70 Jahren unbedingt nicht in der gewohnten 5-Zimmer-Wohnung leben sollte. Aber mit etwas Vorsorge kann ein rechtzeitiger Umzug in eine kleinere Wohnung im gleichen Haus oder Viertel den Schock der Entwurzelung vermeiden. Auch kann ein geschickter Umbau die zu große Wohnung aufteilen, wodurch die Wohnungsnot spürbar gelindert, und zugleich die Kosten auf mehrere Schultern verteilt werden. Vor allem aber muß die Wohnung möglichst seniorengerecht ausgestattet werden, angefangen von rutschhemmenden Belägen in allen Naßräumen, fernsteuerbarer Beleuchtung, Vorsorge für die problemlose Nachrüstung von Notrufanlagen, Ausstattung mit seniorengerechten Möbeln, und dergleichen mehr. Richtig geplant sind diese Ausstattungen auch für jüngere Bewohner von Nutzen, und müssen keinesfalls später wieder rückgebaut werden. Das Ideal ist das „Lebenslaufwohnen“, das ein optimales Wohnumfeld in jedem Alter ohne größere Nachrüstungen oder Umbauten ermöglicht.

Kurt R. B. Wanke

Diplomkaufmann Kurt B. Wanke, 58, ist seit 1985 durch einen Arbeitsunfall querschnittsgelähmt und beschäftigt sich seither gezielt mit der Verbesserung der Lebensumstände Behinderter. Er wurde durch das von ihm konzipierte artosy-Toilettensystem für Rollstuhlfahrer bekannt, für das er den deutschen Erfinderpreis 1996 erhielt.

Veröffentlicht in: Für uns
Herausgeber und Verlag: Barbara Tielert, GVL Gesellschaft für Verlagsdienstleistungen, Hannover
Heft 28 / Oktober 1998